Kreisfeuerwehrverband Heilbronn

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Wo 60 000 Reifen lichterloh brennen

Neckarsulmvon Barbara Barth, HSt

60 000 alte Reifen brennen. Mitten in einem Industriegebiet. Dieses Horrorszenario malte sich die Neckarsulmer Feuerwehr aus und probte am Freitagabend für den Ernstfall.

Kommandant Hermann Jochim kriegt die Bilder nicht mehr aus dem Kopf: Am 30. April wütete in Berlin ein Großbrand in 20 000 Reifen. Das Flammeninferno war erst am 2. Mai unter Kontrolle. 1500 Feuerwehrmänner kämpften verzweifelt mit Wasser und Schaum gegen eine Feuerwalze. Für den Neckarsulmer Feuerwehrchef Anlass genug, Technik und Taktik für eine solche Herausforderung zu überprüfen.

Ort der Übung ist das Reifenlager der Recycling-Firma Bender in der Rötelstraße, 12 000 Quadratmeter groß und mit 60 000 Lkw- und Pkw-Reifen bestückt. Um 20 Uhr erhält die Leitstelle Heilbronn mehrere Anrufe über eine starke Rauchentwicklung im Bereich der Firma zwischen Rötelstraße und Austraße, direkt an der Markungsgrenze zu Heilbronn. Die Leitstelle löst unverzüglich Alarm für die Feuerwehr Neckarsulm aus. Schon auf der Anfahrt erkennt Einsatzleiter Wolfgang Rauh aufgrund der starken Rauchentwicklung, dass alle Neckarsulmer Kräfte, auch die in Obereisesheim und in Dahenfeld alarmiert werden müssen. An der Einsatzstelle eingetroffen, wird zusätzlich die Berufsfeuerwehr und die Freiwillige Feuerwehr aus Heilbronn um Unterstützung gebeten. Rund 30 Fahrzeuge und 150 Feuerwehrmänner aus beiden Städten üben gemeinsam. Die Polizei ist mit 60 Mann vor Ort.

Die Einsatzzeiten sind heute nicht wichtig. „Die kennen wir bestens“, sagt Kommandant Hermann Jochim. Auch eine Schauübung mit Personenrettung und Notarzt steht nicht zur Debatte. Heute geht es allein um die Technik. Denn dass Tanklöschfahrzeuge und die Wasserversorgung der Neckarsulmer Stadtwerke für einen Fall dieses Ausmaßes nicht ausreichen, ist klar. Also muss der Neckar angezapft werden und das Wasser über eine lange Wegstrecke zum Brandherd transportiert werden. Klappt das und wie schnell klappt das? Die Neckarsulmer bauen vom Bootshaus an der Autobahnbrücke eine 850 Meter lange doppelte Schlauchleitung auf, die Heilbronner kommen vom 400 Meter entfernten Osthafen mit sechs Leitungen herüber. Sie müssen mit ihren Tragkraftspritzen einen Damm überwinden, und ausgerechnet heute liegt ein Dickschiff an der einzig möglichen, ohnehin schwer zugänglichen Wasserentnahmestelle. Das erste Löschwasser aus dem Neckar erreicht Punkt 20.24 Uhr das Reifenlager.

In der Einsatzleitung, zu der neben der Feuerwehr auch die Polizei, das Ordnungsamt der Stadt Neckarsulm sowie die Stadtwerke gehören, erfährt auch Oberbürgermeister Volker Blust, dass aus zehn Strahlrohren und fünf Werfern 10 500 Liter Wasser pro Minute auf den angenommenen Brandherd schießen.

Um 21 Uhr erklärt Hermann Jochim das Feuer für „unter Kontrolle“ und stoppt die Übung. Nicht ohne zu mahnen, die Wasserförderung langsam herunter zu fahren. „Würden alle gleichzeitig und abrupt die Hähne schließen, gäbe es im Netz der Stadtwerke etliche Rohrbrüche.

Beim wohlverdienten Vesper im Feuerwehrhaus erläutert Hermann Jochim zu später Stunde seinen Mannen die brenzlige Lage im Ernstfall: Wenn 60 000 Reifen à sieben Kilogramm brennen, entspricht das einem Heizwert von 420 000 Litern Heizöl oder 14 vollen Tankzügen.