Kreisfeuerwehrverband Heilbronn

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Fachsymposium - Zukunft des Rettungsdienstes in Baden-Württemberg

von Medienteam KFV Heilbronn

Im Mittelpunkt des Fachsymposiums beim Innenministerium stand am 2. März 2018 die Fortentwicklung des Rettungsdienstes in Baden-Württemberg. Ziel der Veranstaltung war die Erörterung der vom zuständigen Fachreferat erarbeiteten Ansätze zwischen den politisch Verantwortlichen und der Fachwelt. Die Referenten gewährten dabei Einblicke in ihre Arbeit und berichteten aus Wissenschaft und Forschung. In der „Stunde des Auditoriums“ kamen dann die Teilnehmer der Fachtagung zu Wort.

„Heute leben wir in einer Welt, da bestellen wir Pizza und Bücher nach Hause. Warum dann nicht auch den Arzt?“, fragte bewusst provokativ Staatssekretär Martin Jäger in seiner Begrüßungsrede und brachte damit das Dilemma des Rettungsdienstes auf den Punkt. „Die Schwelle zum Notruf zu greifen ist heute sehr viel niedriger und wird deshalb auch häufig überschritten.“ Jäger lenkte den Blick der Tagungsteilnehmer aus Politik, Ärzteschaft, der im Rettungsdienst mitwirkenden Organisationen, aus dem Bereich der Kostenträger, der Mitglieder der Bereichsausschüsse sowie aus Organisationen und Unternehmen, die in Baden-Württemberg Rettungsdienst leisten und Krankentransporte durchführen, auf die schwierige Situation des Rettungsdienstes. Seit Jahren würden die Einsatzzahlen steigen. Die bundesweit ähnlichen Zahlen seien die Folge der gesellschaftlichen Entwicklung und den Veränderungen im Gesundheitssystem geschuldet. „Waren es vor rund zehn Jahren noch 8,6 Millionen Einsätze, sind diese im Jahr 2016 bundesweit bereits auf unglaubliche 13,3 Millionen gestiegen!“, so der Staatssekretär. Damit korrespondierend hätten sich die Kosten in großen Teilbereichen des Rettungsdienstes nahezu verdoppelt. Allein in Baden-Württemberg seien inzwischen jährlich rund 1,3 Millionen Einsätze in der bodengebundenen Notfallrettung zu bewältigen. Für das Jahr 2017 sei mit einer Steigerung von etwa drei Prozent zu rechnen.

Martin Jäger sprach deutliche Worte: „Akut lebensbedrohliche Erkrankungen (wie zum Beispiel ein Kreislaufstillstand) benötigen eine Versorgung innerhalb von drei bis fünf Minuten. Das wird kein öffentlicher Rettungsdienst jemals wirtschaftlich leisten können.“ Um eine optimale Versorgung der Patienten zu erreichen, habe Baden-Württemberg als erstes Bundesland
die gesamte Rettungskette im Gesetz berücksichtigt. Er appellierte an die Selbsthilfefähigkeit von Bürgerinnen und Bürgern: „Schneller Notruf und schnelle Erste Hilfe, Telefonreanimation und qualifizierte Erste Hilfe durch organisierte Helfer-vor-Ort-Systeme, insbesondere in ländlichen Gebieten, sind Maßnahmen, die schnell und effektiv wirken.“

Die Stärkung der Kompetenzen der Rechtsaufsicht über die Bereichsausschüsse, die Unterstützung durch einen neuen landesweiten Musterbereichsplan, die Einrichtung des Qualitätssicherungssystems SQR und die Etatisierung von vier Stellen „Ärztlicher Leiter Rettungsdienst“ seien wichtige Weichenstellungen gewesen, die zu mehr Qualität und Verbesserungen im Rettungsdienst, andererseits aber auch zu mehr Kontrolle führen würden. Für die Zukunft hätte sich das
Land das Ziel des „Rettungsdienstes aus einem Guss“ gesetzt. „Dazu favorisieren wir eine landesweite Rettungsdienstplanung über die bisherigen Grenzen der Rettungsdienstbereiche hinweg, wir brauchen leistungsfähige,
gut vernetzte und hoheitlich handelnde Leitstellen mit mehr Steuerungs- und Einflussmöglichkeit, wir streben eine Stärkung der Luftrettung an und wir fordern ein funktionierendes Krankentransportsystem, das die Patienten zeitgerecht ins Krankenhaus, zum Arzt und wieder zurück befördert.“ Mit den Referenten seien Fachleute gewonnen worden, die Einblicke in neue Wege im Rettungsdienst geben können. Er lud die Gäste der Veranstaltung herzlich ein, sich für diese neuen Gedanken zu öffnen und damit eine partnerschaftliche Debatte über die anstehenden zukunftsweisenden Entscheidungen
im Rettungsdienst Baden-Württemberg in Gang zu setzen. Mit diesem Ausblick eröffnete Martin Jäger das Fachsymposium und übergab an den Moderator der Veranstaltung, Benedict Groß. Dieser hat sich im Projektmanagement, im Krisenma-
nagement und in der Organisationsberatung einen Namen gemacht. Groß moderiert zum Beispiel auch die Bad Boller Reanimationsgespräche. Er bat Prof. Hermann Schröder auf das Podium, der in seiner Einführung die Themenfelder der Tagung identifizierte und das Interesse der Tagungsteilnehmer auf die Fachvorträge der Referenten schärfte. Er appellierte an alle Verantwortlichen im Rettungsdienst, nicht nur „Zahlen“ zu beleuchten und „Organisationsinteressen“ zu wahren, sondern immer daran zu denken, dass es um Menschen gehe, die es möglichst schnell und qualifiziert zu versorgen gelte. „Vergessen Sie bei allen Entscheidungen, die Sie treffen müssen, auch nie die Belange und Belastungen unserer Einsatzkräfte auf den Fahrzeugen und in den Leitstellen. Sie sind es, die draußen das „Geschäft“ mit großem Engagement erfüllen. Und unsere Aufgabe ist es, ihnen bestmögliche Voraussetzungen zu schaffen“, so Schröders Bitte an das Plenum.

Mit Oberstarzt Prof. Dr. Matthias Helm vom Bundeswehrkrankenhaus in Ulm eröffnete ein Fachmann der Notfallmedizin erster Güte, bekannt für seine herausragenden Leistungen in der Notfallmedizin und sein großes Engagement in der zivil-militärischen Zusammenarbeit, in der Nachwuchsförderung sowie als Begründer zahlreicher notfallmedizinischer Weiterent-
wicklungen, die Vortragsrunde: „Das Anspruchsverhalten der Bevölkerung hat sich verändert. Wer sich heute den Finger bricht, ruft den Rettungswagen. Früher wäre er selbst ins Krankenhaus gefahren. Der Rettungsdienst wird mit nicht notfallgerechten Einsätzen ‚missbraucht‘.“ Helm machte aus Sicht des Patienten die Anforderungen an einen qualifizierten Rettungsdienst deutlich. Nicht die Hilfsfrist sei das Maß aller Dinge. Die sogenannte Prähospitalzeit sei der entscheidende Faktor. Innerhalb von 60 Minuten sollten die Patienten in dem für sie geeigneten Krankenhaus sein. Prof. Matthias Helm verwies hierzu auch auf ein interessantes Eckpunktepapier zum „Rettungsdienst aus notfallmedizinischer Sicht“, zu
finden unter http://kurzelinks.de/f3b8. Wichtig sei aber auch die Teamarbeit im Rettungsdienst. Dies gelte auch für eine professionelle Übergabe des Patienten an der wichtigen Kontaktstelle zwischen Rettungsdienst und Krankenhaus.

Nach der Mittagspause referierte Prof. Dr. Stefan Nickel, Leiter des Lehrstuhls für Diskrete Optimierung und Logistik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, über „Health Care Logistics“ im Rettungsdienst. Prof. Dr. Stefan Nickel zeigte deutlich die Vorteile einer bereichsübergreifenden landesweiten Planung auf. Am Beispiel der Niederlande habe man ein erhebliches Verbesserungspotenzial bei den Wachestandorten ausgemacht. Logistikplanung – und dies gelte auch für den Rettungsdienst – sei ein permanenter Prozess. Es sei nicht damit getan, alle zehn Jahre ein Gutachten auf den Weg zu bringen. „Großräumige Planungen bieten erhebliche Vorteile“, so Prof. Dr. Nickel
weiter. Gerade im Krankentransport könne man durch Logistikmethoden und automatisierte Tourenplanungen die vorhandene Kapazität besser nutzen.

Zum Abschluss der Vorträge berichtete Prof. Dr. Thomas Krafft von der Maastricht University, Faculty of Health, Medicine and Life Sciences, in seinem Vortrag zur „Zukunft des Rettungsdienstes - eine europäische Perspektive“ über seine Erfahrungen. Thomas Krafft konzentriert sich auf vergleichende Gesundheitssystemforschung, globale Gesundheit und Gesundheitsgeographie mit regionalem Fokus auf Europa und Asien (insbesondere Indien und China). Er berichtete über seine Erfahrungen im Rettungsdienst in den Niederlanden und über den Rettungsdienst der in Europa derzeit führenden Nation, Dänemark. „Der Rettungsdienst ist in Baden-Württemberg eigentlich gut aufgestellt. Mit der SQR verfügen Sie über eine herausragende Stelle, die wertvolle Daten liefert. Mit dem KIT verfügen Sie über wissenschaftliches Know-how und die Bad Boller-Gespräche liefern immer wieder bundesweit beachtete Impulse“, so Kraffts abschließende Bewertung.

In der „Stunde des Auditoriums“ hatten die Teilnehmer der Fachtagung die Möglichkeit Fragen an die Referenten zu stellen. Davon machten sie auch kräftig Gebrauch, um Thesen der Referenten zu hinterfragen bzw. zu präzisieren. Nach knapp einer
Stunde ging eine angeregte Diskussion und gleichzeitig ein hochinteressantes Fachsymposium zu Ende.

Zu dieser Veranstaltung haben wir Ihnen interessantes Zusatzmaterial auf folgender Website zur Verfügung gestellt:
http://kurzelinks.de/htnk.

Quelle: Innenministerium Baden-Württemberg