Kreisfeuerwehrverband Heilbronn

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"Dann kommt das Signal und dann geht es los"

Heilbronnvon Heilbronner Stimme

Christoph Franz von der Freiwilligen Feuerwehr Heilbronn erzählt, was es für ihn bedeutet, ständig einsatzbereit zu sein

Von unserer Redakteurin Heike Kinkopf

Mehr als 5000 Männer und Frauen in der Region Heilbronn und Hohenlohe sind aktiv bei der Freiwilligen Feuerwehr. Sie kommen, wenn andere in Not sind. Einer von ihnen ist Dr. Christoph Franz. Der Heilbronner erzählt, wie das seine Freizeit beeinflusst. „Ich empfinde den Pieper überhaupt nicht als stressig“, sagt er. Die Feuerwehr bereichert sein Leben.

Herr Franz, vervollständigen Sie bitte den Satz: Freizeit bedeutet für mich …

Christoph Franz: … den Kopf frei bekommen. Vom beruflichen Alltag herunterfahren. Stress abbauen. Neue Gedanken finden, neue Ideen finden. Energie tanken.

Bei der Arbeit gelten Menschen als fremdbestimmt, Freizeit ist die Zeit, über die Menschen selbstbestimmt verfügen. Wie selbstbestimmt ist Ihre Freizeit, wenn jederzeit ein Alarm losgehen kann?

Franz: Je tiefer ich in die Feuerwehr eintauche, umso weniger ist der berufliche Alltag vorhanden. Das heißt: Je intensiver ich mich mit einem neuen Thema beschäftige, umso eher vergesse ich den beruflichen Alltag. Wenn ich nach Hause komme und meine Kinder begrüßen mich und platzieren ihre Interessen, ist der berufliche Alltag auch vergessen. Das ist wie ein Kippschalter, den man umlegt zum Stressabbau. Ich tauche in eine neue Welt ein. Das kann Familie sein, das kann Freizeit sein. Und ein Teil von Freizeit ist für mich die Feuerwehr.

Stresst es Sie, wenn der Pieper immer in Reich- und Hörweite ist?

Franz: Ich empfinde den Pieper überhaupt nicht als stressig. Wenn das Signal ertönt, ist sicherlich Adrenalin im Spiel. Das ist ein angenehmer Stress. Ich bin wie ferngesteuert. Ich bin gepolt auf die Tätigkeit, die im Einsatz auf mich zukommen könnte.

Wie erholen Sie sich?

Franz: Ich bin ein Mensch, der die Vielfalt und die Beschäftigung braucht, der in vielen Feldern aktiv ist. Die Abwechslung ist meine Erholung.

Was motiviert Sie, das Ehrenamt bei der Freiwilligen Feuerwehr seit mehr als 30 Jahren auszuüben?

Franz: Es ist zum einen die Gruppe, mit der ich zusammen bin. Menschen in etwa dem gleichen Alter und mit den gleichen Interessen. Wir sind Kameraden und haben Spaß bei den Übungen, aber auch im Einsatz, wenn der nicht sehr leidvoll ist. Aus den schwierigen oder belastenden Situationen ziehen wir Lehren und nehmen sie mit in den Alltag. Sie prägen uns.

Inwiefern?

Franz: Bei mir haben die leidvollen Einsätze zur Gelassenheit in vielen anderen Situationen geführt. Die meisten Probleme, die im Alltag hochgekocht werden, sind ja keine. Mit dem Wissen gehe ich im Beruf und im privaten Bereich ruhiger an Dinge heran.

Freiwillige Feuerwehrleute sind da, wenn es brennt, ein Unfall passiert oder das Hochwasser kommt. Ist Ihnen immer bewusst, was Sie für die Gesellschaft leisten?

Franz: Also in jungen Jahren war mir das nicht so bewusst. Da hatte ich einfach meinen Spaß. Wenn man ein paar Tage älter ist und die Dimension von Schadensereignissen betrachtet, meine ich, müssen wir im Bereich zivile Mitwirkung im Katastrophenschutz mehr tun. Wir haben das die letzten Jahrzehnte vernachlässigt. Die Welt war heiler, als sie aktuell ist. Unwetterlagen waren nicht in der Dimension vorhanden wie heute. Die Stadt Heilbronn mit ihren etwas mehr als 300 freiwilligen Feuerwehrleuten könnte locker noch mal 100 bis 200 mehr vertragen. Die Feuerwehr ist ein Hobby, das auch jenseits des Einsatzes viel zurückgibt.

Zurück zur Motivation, allzeit für die Feuerwehr bereit zu sein.

Franz: Es ist ein Stück weit dieser andere, positive Stress, dieses Nervenkitzeln, das den Reiz mit ausmacht. Mir gefällt es außerdem, den Fortschritt der Technik zu erleben. Heute setzen wir Drohnen ein. Das war vor Jahren nicht denkbar.

In welchen Momenten denken Sie: O nein, der Alarm passt jetzt gar nicht, ich will nicht, ich kann nicht?

Franz: Es gibt berufliche oder familiäre Situationen, da kann ich nicht weggehen. Wenn ich auf dem Melder Gebäudebrand lese und habe das Auto voller Kinder, kann ich die nicht irgendwo abstellen. Das ist schon eine Stresssituation. Ich gebe Bescheid und erscheine eben zeitverzögert in einem Einsatz.

Das heißt die ständige Bereitschaft stresst Sie nicht. Dafür aber, wenn Sie mal nicht sofort in einen Einsatz gehen können. Richten Sie Ihre privaten Pläne nach möglichen Einsätzen aus?

Franz: Teilweise schon. In der jüngsten Hochwasserlage beispielsweise wird im Vorfeld abgefragt, wer grundsätzlich da und bereit ist, falls wir auch außerhalb von der Stadt und dem Landkreis eingesetzt werden. Da kann man sich ganz entspannt drauf einstellen. In der Feuerwehr ist aber eher die nicht Planbarkeit die Regel.

Haben Sie diese nicht planbaren Einsätze jederzeit im Hinterkopf?

Franz: Hm, ich lebe ganz normal mein Leben und dann kommt das Signal und dann geht es los. Ich richte mein Leben nicht nach den unplanbaren Einsätzen aus. Ich kann nicht ständig in einer Anspannung dasitzen und denken, es könnte gleich losgehen. Das wäre nicht gesund. Ich brauche eine gewisse Distanz zur Feuerwehr. Ich empfinde keine Anstrengung durch das Feuerwehrdasein.

Sie können nicht die ganze Zeit unter Anspannung leben, sagen Sie. War das ein Prozess?

Franz: Ja, also in jungen Jahren dachte ich schon eher so: Wann kommt der nächste Einsatz? Ich war jung, hatte keine Familie, hatte im Beruf nicht den Alltagsstress, hatte viel mehr Freizeit als jemand, der kleine Kinder hat. Man ist als Jüngerer vielleicht süchtiger auf Feuerwehr als jemand, der im Beruf voll im Saft steht und bei dem es zu Hause mit Kindern und Familie weitergeht. Das stelle ich auch bei den jüngeren Kameraden fest. Wenn die Kinder kommen oder sich im Beruf Karrierechancen auftun, ist man nicht mehr völlig auf die Feuerwehr fokussiert.

Wie bekommen Sie die Feuerwehr eigentlich mit Ihrer Tätigkeit als Schulleiter unter einen Hut?

Franz: Ich unterrichte, bin Schulleiter und nebenbei bin ich seit ein paar Wochen Sprecher der baden-württembergischen Beruflichen Schulen. Wenn im Unterricht ein Alarm eingeht, gibt es immer jemanden, der mich vertreten kann, oder die Klasse stellt ihre Aufgabe selbstständig fertig. Wenn ich meinen Schulleiterposten verlasse, bleibt alles liegen. Aber unabhängig von Feuerwehreinsätzen habe ich eine ständige Vertretung. Das ist meine stellvertretende Schulleiterin, und außerdem haben wir vier Abteilungsleiter, die Teil der Schulleitung sind.

Bei den Überschwemmungen in Süddeutschland ist ein Feuerwehrmann ums Leben gekommen. Ist Ihnen die Gefahr bei Einsätzen bewusst?

Franz: Die Gefahr ist präsent. In den Übungen und nach Einsätzen sprechen wir permanent über Unfallgefahren. Unfallverhütung ist ein großes Thema in der Feuerwehr. Teuflisch ist Routine, wenn man mal kurz und geschwind was machen will. Eine Grundangst schützt einen.

Macht Sie Ihr Tun in der Freizeit stolz?

Franz: Wir sind schon ein bisschen stolz, wenn wir nach Einsätzen zurückkommen und keine Menschen zu Schaden gekommen sind und wir sagen: Die Aufgabe haben wir gut gelöst.

Zum Schluss noch mal eine Satz-Vervollständigung: Meine Freizeit erfüllt mich, wenn …

Franz: … ich das Gefühl habe, meiner Familie, meinem Beruf und meinen Hobbys gerecht zu werden. Mal steht die Feuerwehr im Vordergrund, mal die Familie, mal das Fahrradfahren im Wald, mal meine Kinder mit ihren individuellen Interessen. Mit dem Gleichgewicht aus Familie, Beruf und Freizeit bin ich ausgeglichen und zufrieden.

Zur Person
Dr. Christoph Franz (51) ist gebürtiger Heilbronner. Das Abitur macht er an der Wilhelm-Maybach-Schule. Anschließend studiert er Weinbetriebswirtschaftslehre an der Hochschule Heilbronn. Für Kaufland ist er im Einkauf tätig und verbringt einige Zeit beruflich in Frankreich im Burgund. Er studiert Wirtschaftspädagogik mit Politikwissenschaft an der Uni Konstanz und wird Lehrer. Das Referendariat absolviert er an der Andreas-Schneider-Schule in Heilbronn. Dort wird er stellvertretender Schulleiter. 2016 übernimmt er die Leitung der Peter-Bruckmann-Schule. Franz ist verheiratet und hat fünf Kinder. kik